Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen

Im Verlauf der 9. Klasse dürfen wir uns im Deutschunterricht aus einer großen Literaturauswahl ein Werk selbst aussuchen, welches wir eigenständig in Form eines Lesetagebuchs erarbeiten sollen. Auf Grund meines besonderen Interesses für das Fach Biologie, entscheide ich mich relativ schnell für das Buch von Konrad Lorenz: „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“ (dtv Verlag München, 48. Auflage, 2019).

Das Buch ist in zwölf unterschiedliche Kapitel unterteilt, die jeweils verschiedene Tiere zum Thema haben. So lernt man im Verlauf des Buches beispielsweise das Verhalten von Gänsen, Dohlen, Fischen und Affen kennen. Besonders deutlich betont Lorenz hierbei die erkennbaren Ähnlichkeiten innerhalb verwandter Tierarten.

Mir persönlich hat besonders gut das Kapitel „Das Gänsekind Martina“ gefallen. In diesem Kapitel erzählt er davon, wie er selbst ein Gänsekind aufzieht. Eigentlich war es nur seine Absicht, den Vorgang des Schlüpfens bei einem Gänsekind zu beobachten. Doch dadurch, dass Konrad Lorenz das erste Lebewesen war, welches die junge Gans nach ihrem Schlüpfen erblickte, nahm es an, dass Lorenz seine „Gänsemutter“ sei. Sein Versuch, die kleine Martina einer Gans mit eigenen Gänsekindern anzuvertrauen, scheiterte. Sobald er Martina der Gänsemutter überließ, weinte sie und lief ihm rührend nach. Obwohl ihr das Laufen noch schwer viel, folgte sie ihm unter größter Kraftanstrengung so schnell sie konnte. Nachdem sich dies einige Male wiederholt hatte, nahm Konrad Lorenz schließlich seine Rolle als „Gänsemutter“ an. Dies bedeutete für ihn, mehrmals in der Nacht von der klagenden Gänsestimme geweckt zu werden, damit Martina sich sicher sein konnte, dass sie nicht alleine war. Sie auch nur eine einzige Nacht alleine zu lassen wäre unmöglich gewesen. Diese frühe Prägung ist für Gänsekinder äußerst wichtig, da das junge Gänsekind ohne seine Mutter in der freien Wildbahn nicht überleben könnte. Außerdem berichtet Konrad Lorenz dem Leser davon, dass er in dieser Zeit gelernt hat, die Laute von Gänsen ihren Bedeutungen zu zuordnen. Wenn er nachts von Martina mit ihrem ängstlichen Piepen geweckt wurde, übersetzte er dieses mit „Hier bin ich, wo bist du?“. Zudem fiel es ihm zunehmend immer leichter Martina „in Gänsesprache“ zu antworten und diese zu beruhigen.

Das Buch ist in klarer und leicht verständlicher Sprache geschrieben. Einige Verhaltensmuster schildert der Autor jedoch sehr ausführlich; diese Schilderungen gehen mitunter sehr ins Detail.

Am Ende des Buches ist mir klar geworden, dass Konrad Lorenz wirklich ein exzellenter und außergewöhnlich präziser Beobachter ist. Im Verhalten mit seinen Tieren zeichnet er sich durch tiefes Verständnis, Zugewandtheit und Geduld aus. Diese außergewöhnliche Beobachtungsgabe setzt bei ihm bereits im Alter von fünf Jahren ein: Konrad Lorenz beginnt in diesem frühen Alter (zusammen mit seiner besten Freundin und späteren Ehefrau Margarethe) das Verhalten von Enten genauestens zu studieren.

Natürlich kann man Konrad Lorenz vorwerfen, dass er sich zu sehr auf Beobachtungen stützt und zu wenig wissenschaftliche Experimente durchführt. Er verspielt Objektivität, indem er (wie auch später andere Tierforscher, z.B. Jane Goodall) mit den Tieren in sehr engen Kontakt und direkte Interaktion tritt, ihnen sogar Namen gibt. Im Gegensatz zu anderen Kollegen führt er nicht einmal Freilandforschungen durch. Aber durch seine große Authentizität, seine enorme Beobachtungsgabe und durch die spürbare Begeisterung über „seine Tiere“, macht es viel Freude, dieses interessante Buch zu lesen.

Konrad Lorenz wird oft vorgeworfen, nicht nur mit den „Vögeln gesprochen“, sondern auch „mit den Wölfen geheult“[1] zu haben. Erst im Laufe meiner intensiven Autorenrecherche wird mir klar, dass sich dieser Ausdruck auf Lorenz` Verhalten im Zweiten Weltkrieg bezieht. In der Beobachtung und im Verstehen von Menschen kommt er zu falschen, gefährlichen Schlüssen und trifft massive Fehlentscheidungen. Es sind Zeugnisse von ihm erhalten, auf denen zum Beispiel vermerkt ist: „Schließlich darf ich wohl sagen, dass meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht!“[2]

Lorenz verfällt nicht nur dem Nationalsozialismus, sondern mit besonderer Begeisterung auch der darin enthaltenen Idee von Rassenlehre und Eugenik. Er zieht zunehmend gefährliche und falsche Vergleiche zwischen Forschungsergebnissen und Rassenlehre des Dritten Reichs. Diese Seite des berühmten Verhaltensforschers Konrad Lorenz war mir vorher nicht bekannt und hätte mich vermutlich davon abgehalten, dieses Buch zu wählen, obgleich dies alles in der von mir gewählten Lektüre nicht zur Sprache kommt.

Obwohl die Forschungsergebnisse von Konrad Lorenz bis heute beeindruckend und auch berührend sind, gilt meine größte Bewunderung stets denjenigen Forschern und Wissenschaftlern, die neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch menschlich eine Vorbildfunktion einnehmen.

Ruth Loock (9b)



[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/der-mit-den-voegeln-redete-und-mit-den-woelfen-heulte-1134805.html

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Lorenz